Die junge Generation lebt in einer außerordentlich toleranten und freizügigen Zeit: Sie verwenden Apps, mit deren Hilfe sie nach Gelegenheitssex suchen können, sie haben die Pille danach, Sexting ist zu einem normalen Verhalten geworden, und unsere Kultur war noch nie so offen für sexuelle Beziehungen zwischen jungen Erwachsenen. Dennoch ist Sex vor allem in der jüngeren Generation auf dem Rückzug.
Die amerikanische Zeitschrift The Atlantic bezeichnet dieses Phänomen als „Sex-Rezession“ und widmet die Ausgabe im Dezember 2018 der Untersuchung dieses Phänomens. In einem Artikel mit 12.665 Wörtern wird versucht, die Hauptgründe dafür zu verstehen. Als mögliche Ursachen für die Unterdrückung des Verlangens nach Sex werden die Überlastung der Online-Unterhaltung, die den Wunsch nach sexueller Intimität einschränkt, die häufige Verwendung von Dating-Apps, die das Flirten an öffentlichen Orten weniger akzeptabel machen, Depressionen, Angstzustände, geringes Selbstwertgefühl und Schlafentzug genannt.
Nimmt man den hohen Konsum von Pornographie hinzu, die #metoo-Bewegung, die Männer im Umgang mit Frauen ängstlicher und zusehends zaudernd werden lässt, die wachsende Angst der Frauen vor Ausnutzung, das Verwischen von geschlechtsspezifischen Unterschieden, die breite gesellschaftliche Akzeptanz der Eheschließung nach 40, den Trend, aus wirtschaftlichen Gründen bei den Eltern zu leben und keine Kinder zu haben, dann kommt man auf eine ganze Reihe von möglichen Ursachen, die zu einem starken Rückgang der sexuellen Aktivität in den letzten zwei Jahrzenten beigetragen haben.
“Während Tiere instinktiv ihr Gleichgewicht aufrechterhalten, müssen wir Menschen dies bewusst tun. Aus diesem Grund brauchen wir eine Bildung, um unsere spirituelle Transformation zu unterstützen und voranzutreiben.”
Anstatt allerdings den Rückgang sexueller Aktivität allein als Problem zu sehen, sollten wir ihn als evolutionäres Phänomen deuten, das jetzt in der Menschheit zum Vorschein kommt.
Sich vom Wachstum unseres Egos treiben lassen
Das Ego ist die treibende Kraft der menschlichen Evolution. Es ist die natürliche Neigung, die den Menschen von der Tierwelt unterscheidet. Da sich das menschliche Ego entwickelt, treibt es den Menschen dazu an, sich mehr auf seine individuellen Bedürfnisse und Wünsche zu konzentrieren, und fordert einen immer größeren Preis dafür, sich auf Verbindungen zu anderen einzulassen. Heutzutage hat das menschliche Ego einen Höhepunkt erreicht und strebt danach, die Bindung zu anderen zu minimieren, selbst wenn es um sexuelle Aktivitäten geht.
Das Wachstum des Egos ist der grundlegende Grund für den Rückgang der sexuellen Aktivität, und dies hat große Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft. Während der Rückgang des Sexuallebens nach außen hin offensichtlich ist, ist der Rückgang des grundlegenden Triebs zur zwischengeschlechtlichen Umwerbung weniger wahrnehmbar. Der Drang, den anderen zu erfreuen, unsere Zuneigung zum anderen zu zeigen und aufrichtiges Interesse für den anderen zu wecken, hat an Bedeutung verloren. Infolgedessen verlieren wir eine sehr grundlegende Leidenschaft für das Leben und einen bedeutenden Antrieb für menschliches Handeln.
Jeder Mensch hat ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Männer zum Beispiel möchten instinktiv Frauen beeindrucken, und das beeinflusst eine Menge ihrer Gedanken und Handlungen, sowohl bewusst als auch unbewusst. Frauen brauchen dagegen direkte Aufmerksamkeit von Männern, die sich durch ein Kompliment oder eine bestimmte Handlung ausdrücken lässt.
Da unser Egoismus jedoch gewachsen ist, und sich die Kluft zwischen uns vergrößert hat, passt sich die menschliche Kultur an diesen Trend auch an, sodass es denn Geschlechtern leichter fällt, das gegenseitige Umwerben zu umgehen und „direkt zum Punkt zu kommen“. Allerdings werden wir dadurch nicht nur weniger sexuell aktiv , sondern betäuben auch das wechselseitige Zusammenspiel zwischen den Geschlechtern.
Mann und Frau sind komplementäre Kräfte der Natur
Wenn das „Liebeswerben“ die erste Lehrveranstaltung wäre, die wir unseren Kindern in der Schule wieder beibringen würden, dann wäre „Tanz“ die erste Lektion in diesem Kurs.
Die gesamte Natur existiert in einem harmonischen Tanz zwischen deren männlichen und weiblichen Elementen, ob Plus und Minus, Sperma und Eizelle, Elektron und Proton oder Ebbe und Flut. Die beiden entgegengesetzten Teile der Schöpfung nehmen ständig neue Formen an und erschaffen neue Lebensstufen.
In der wechselseitigen Bewegung zwischen Mann und Frau liegt der Verstand der Natur. Wenn wir uns diesen Verstand aneignen, dann werden wir die einzigartigen und natürlichen Rollen von Mann und Frau erkennen, die tief in unserer Biologie verwurzelt sind und in unserer Physiologie und Psyche zum Ausdruck kommen.
Es ist sicherlich möglich, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu verwischen, es ist jedoch unmöglich, sie zu beseitigen. Darüber hinaus bringt das Verwischen der Unterschiede zwischen Mann und Frau auf soziokultureller Ebene unsere Wahrnehmung der Realität mächtig durcheinander. Genauso wie die Kontraste zwischen Dunkelheit und Licht, Hunger und Sättigung, Bitter und Süß usw. in unserem Leben einen Sinn erzeugen und unsere Erkenntnis aufbauen, ist auch der Kontrast zwischen den Geschlechtern auf menschlicher Ebene für unsere Analysefähigkeit und die Weise, wie wir die Realität entschlüsseln, von entscheidender Bedeutung.
Wenn wir uns von dem Wachstum unseres Egos treiben lassen, ohne bewusst an der menschlichen Verbindung zu arbeiten, dann werden wir uns womöglich tatsächlich in einer Zukunft wiederfinden, in der Babys im Labor erzeugt werden, in der Menschen vor allem mit Robotern Beziehungen eingehen, und in der die menschliche Verbindung allmählich verblassen wird.
Der Rückgang der sexuellen Aktivität deutet auf eine Evolutionskrise hin, die uns zum nächsten Schritt in unserem Tanz mit der Natur führen soll. Die männlichen und weiblichen Komponenten der Menschheit müssen sich in ihrer Verbindung weiterentwickeln, um eine neue, tiefere und spirituelle Verbindung zu schaffen, welche erforderlich ist, um das Gleichgewicht in der menschlichen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, nicht nur zwischen den Menschen, sondern im Einklang mit der gesamten Natur.
Während Tiere instinktiv ihr Gleichgewicht aufrechterhalten, müssen wir Menschen dies bewusst tun. Aus diesem Grund brauchen wir eine Bildung, um unsere spirituelle Transformation zu unterstützen und voranzutreiben.
Sobald wir uns auf eine neue Ebene der menschlichen Verbindung erheben, brauchen wir unsere Unterschiede nicht mehr zu verwischen, da wir sehen werden, wie sie miteinander verschmelzen, um Harmonie zu schaffen, und wie sich unsere einzigartigen Eigenschaften ergänzen, so wie es in der übrigen Natur der Fall ist.
Dies ist die Verbindung, die uns allen fehlt. Frauen neigen dazu, von Natur aus sensibler dieser Thematik gegenüber zu sein, aber Männer haben das gleiche innere Bedürfnis nach spiritueller Vereinigung, welche die Natur für uns bereithält. Das Buch Sohar schreibt dazu: „Der Mensch ist die Einbeziehung von Mann und Frau, und die Welt kann nicht erbaut werden, wenn Mann und Frau nicht beide anwesend sind.“ Wenn wir unsere spirituelle Verbindung entdecken, wird das Gleichgewicht zwischen Mann und Frau auf allen Ebenen wiederhergestellt – einschließlich der Ebene der sexuellen Aktivität.